Deutsches Team
DFB-Frauen: "Bitteres Kofferpacken" statt EM-Traum
von Florian Neuhauss, sportschau.de
"Wir müssen unsere Koffer packen, das ist so bitter", sagte Babett Peter. Für Deutschland ist die EM in den Niederlanden bereits vorbei. Nach einer enttäuschenden Leistung steht am Montag (31.07.2017) die Heimreise an.
Eigentlich wollte Babett Peter nach dem Viertelfinal-Aus gegen Dänemark (1:2) nur allein sein. Die Abwehrchefin machte sich auf den Weg zu den Fans, "um mich für ihre Unterstützung zu bedanken", aber auch, um den Schock "erst mal zu verarbeiten". Doch die 29-Jährige blieb nicht lange allein. Erst wurde sie von Alexandra Popp eingeholt. Die bei der EM verletzt fehlende Stürmerin war von der Tribüne gekommen, über den Platz gejoggt und schloss ihre Wolfsburger Mitspielerin in die Arme. Und als Peter wenig später auf einem Stuhl neben der Auswechselbank das Gesicht in ihren Händen vergrub, tauchte plötzlich hinter der Bande Ex-Nationalspielerin Annike Krahn auf und spendete Trost. Peter wusste die Anteilnahme zu schätzen: "Es gibt in solch einer Situation nur wenige, die einen trösten können. Da tut es gut, auch mal fest in den Arm genommen zu werden."
Jones: "Was ist da schief gelaufen?"
Derweil war Steffi Jones schon dabei, die Niederlage einzuordnen. Dänemark habe den größeren Siegeswillen gehabt und zu recht gewonnen, betonte die Bundestrainerin. Kritik an ihren Personalrochaden und der Taktik wies sie zurück. Auch die Anstoßzeit gerade einmal 14 Stunden nach der finalen Absage am Vorabend wollte die 44-Jährige nicht als Erklärung gelten lassen. Die genaue Analyse werde ein bisschen dauern. "Ich habe bis zur letzten Sekunde an meine Mannschaft geglaubt", sagte Jones bei der Pressekonferenz mit zitternder Stimme. Ihre "sehr große Enttäuschung" war ihr deutlich anzumerken. Natürlich werde auch sie hinterfragen, "was da schief gelaufen ist". An einen Rücktritt nach dem enttäuschenden Ende ihrer ersten EM als Cheftrainerin denke sie allerdings nicht.
Neuer Abschnitt
Deutsches Team
Einzelkritik: Kerschowski trifft und patzt
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Almuth Schult: Die deutsche Torhüterin hatte vor der Pause gegen in der Offensive weitgehend harmlose Däninnen nur wenig zu tun. Bei Schüssen von Katrine Veje (38.) und Sanne Troelsgaard (44.) reagierte sie aufmerksam. Die Gegentore (49., 83.) konnte sie nicht verhindern. Sie hatte viel Glück beim Veje-Lattentreffer (57.), rettete hellwach gegen Harder (58.), stieg dann aber sehr rüde gegen Nadia Nadim ein (75.).
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Anna Blässe: Im dritten EM-Startelf-Einsatz agierte die Rechtsverteidigerin ungewohnt fahrig in der Defensivarbeit. Spielte vor der Pause mehrere riskante Pässe in der Rückwärtsbewegung, die die Däninnen ins Spiel brachten. Nach dem Seitenwechsel nicht eng genug bei Nadim, die zum Ausgleich traf (49.). Auch Veje ließ sie bei deren Lattentreffer aus den Augen (57.).
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Lena Goeßling: Zu Beginn mit guter Spielübersicht und ruhigen Aktionen im Spielaufbau. In ihrem 95. Länderspiel ließ sie sich aber im weiteren Verlauf der Partie von der Verunsicherung im deutschen Team anstecken. Auch nach den beiden Treffern der Däninnen gingen von ihr als Reaktion jeweils zu wenig Impulse aus.
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Babett Peter: Spielte vor der Pause ohne defensive Aussetzer, setzte aber auch keine offensiven Glanzlichter im Spielaufbau. Im zweiten Abschnitt geriet die von ihr und Goeßling organisierte Abwehr immer wieder bei Vorstößen der Däninnen durchs Zentrum ins Schwimmen. Beim 1:2 stimmte die Zuordnung vor dem eigenen Tor dann gar nicht mehr.
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Isabel Kerschowski: Ihre Hereinnahme auf die Linksverteidiger-Position machte sich zunächst bezahlt. Nutzte die sich bietenden Räume auf dem Flügel für schnelle Vorstöße - und brachte das deutsche Team mit einem 17-Meter-Schuss in Führung (3.). Hatte nach der Pause viel Mühe defensiv gegen Nadim, Troelsgaard und Co.. Bei beiden Gegentoren ließ sie die Flanken ins Zentrum zu (49., 83.).
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Kristin Demann: Wie bereits in den Gruppenspielen, tauschte Demann im Mittelfeld immer wieder mit Kapitänin Dzsenifer Marozsan fließend die Positionen - dieses Mal jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Ließ im Zentrum defensiv einige Male Lücken offen, hatte vorne bei ihren Abschlüssen kein Glück (7., 24.). Mandy Islacker kam für sie in der 62. Minute ins Spiel.
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Mandy Islacker: Gegen Dänemark kam die Stürmerin erst in der 62. Minute von der Bank in die Partie. Warf sich im Zentrum sofort ins Getümmel, kam aber nicht frei zum Abschluss. Ein unter dem Strich glückloser Joker-Einsatz in einem verunsicherten deutschen Team.
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Sara Doorsoun: Gegen die Russinnen im letzten Gruppenspiel war die Essenerin noch ein belebendes Element auf dem Flügel gewesen - ganz anders dann im Viertelfinale gegen Dänemark. Die Partie lief komplett an ihr vorbei - egal, ob sie rechts oder links agierte. Ein harmloser Schuss aufs Tor der Däninnen (44.) Zur Pause ausgewechselt.
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Lina Magull: Die Freiburgerin kam nach der Pause für die enttäuschende Doorsoun in die DFB-Formation - machte es selbst aber nicht viel besser. Ein (abgefälschter) Schuss in der 80. Minute - mehr bleibt von ihren Offensivbemühungen nicht in Erinnerung.
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Sara Däbritz: Begann auf dem linken Flügel sehr agil, gab in der fünften Minute einen Torschuss ab. Rutschte im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit in die Spitze neben Mittag, konnte dort aber ihre Stärken nicht ausspielen. Nach dem Seitenwechsel wieder als Flügelspielerin und damit etwas wirkungsvoller im Einsatz.
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Dzsenifer Marozsan: Die DFB-Kapitänin forderte und bekam in der Anfangsphase viele Bälle im Mittelfeld, die sie ruhig und aufmerksam im Spielaufbau verteilte. Ihre Positionswechsel mit Demann waren nicht immer zielführend - genauso wie ihre eigenen Abschlüsse und Standards. In der Entstehung des 1:1 (49.) schläfrig, als Assistgeberin Stine Larsen den Vorteil nutzte. Ließ eine sichtbare Reaktion auf diesen und den zweiten dänischen Treffer vermissen. Das war nicht das Turnier von Dzsenifer Marozsan!
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Anja Mittag: Die deutsche Stammelf-Stürmerin (vierter EM-Einsatz) arbeitete zwar richtig viel, dabei sprang aber gar nichts Zählbares heraus. Zum ersten Mal richtig gefährlich erst in der 75. Minute, als ihr Kopfball das gegnerische Tor knapp verfehlte. Dabei blieb es.
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Linda Dallmann: In der ersten Halbzeit fand die als Stürmerin aufgebotene Essenerin keine richtige Bindung zum Spiel. War weder in der Spitze noch auf dem rechten Flügel gut aufgehoben. Ihre Aktionen wirkten halbherzig. Nach der Pause dann viel mutiger. Mit zwei guten Abschlüssen (56., 61.) zwang sie Dänemarks Schlussfrau Stina Lykke Petersen zu Paraden. Kurz vor Schluss ausgewechselt gegen Lena Petermann.
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Lena Petermann: Der dritten und letzten Einwechselspielerin des DFB-Teams blieben lediglich zwei Minuten plus die Nachspielzeit, um noch mit für den erhofften Ausgleichstreffer zu sorgen. Als das nicht gelungen war, ließ auch die Freiburgerin enttäuscht den Kopf hängen - die EM geht ohne die deutsche Mannschaft weiter.
Traumstart und erschreckend viele Fehler
"Eigentlich hatten wir einen Traumstart", meinte Peter mit Blick auf das 1:0 von Isabel Kerschowski (3.), erkannte aber auch: "Wir waren nicht so dominant und konnten unser Spiel nicht durchdrücken." Jones sprach davon, ihre Mannschaft habe trotz der Führung "jegliche Souveränität und Aggressivität vermissen lassen". Zusammengenommen ergaben diese Probleme den schwächsten EM-Auftritt der DFB-Frauen. Dabei sollte mit dem ersten Spiel der K.o.-Runde eigentlich alles besser werden. "Wir wollten zeigen, was in uns steckt", erklärte Jones. Dafür kam neben Kerschowski auch Linda Dallmann wieder von Beginn an ins Spiel. Eine spielstarke Dribblerin anstelle der so glücklosen Stürmerin Mandy Islacker. So wurde das Positionsspiel noch variabler: Mal stieß Dzsenifer Marozsan in die Spitze, mal wich Dallmann auf den Flügel aus. Doch taktische Spielereien sind manchmal nicht genug. Das DFB-Team leistete sich im Spielaufbau erschreckend viele Fehler, konnte diese zumindest vor der Pause aber immer noch irgendwie wettmachen.
Als Doorsoun noch duscht, fällt das 1:1
Mitmachen
"Wir haben die Mannschaft in der Halbzeit aufgebaut und ihr Mut zugesprochen", berichtete Jones - und brachte in Islacker für Sara Doorsoun wieder eine echte zweite Spitze. Doch als die Essenerin noch unter der Dusche stand, fiel schon der Ausgleich. Marozsan und Kerschowski schalteten nach einem Zweikampf einfach ab, weil die Schiedsrichterassistentin mit der Fahne ein Foul angezeigt hatte. Doch der Pfiff blieb aus. Auf dem Flügel spielte nur Stine Larsen weiter, kam ungestört zur Flanke - und Nadia Nadim köpfte wuchtig zum 1:1 ein (49.). Ein grober Anfängerfehler, den sich auf diesem Niveau niemand erlauben darf. "Das war der denkbar schlechteste Start in die zweite Hälfte", meinte Peter. Jones war fassungslos: "Ich rufe noch: 'Hallo, es geht weiter.' Aber wir schlafen und dann fällt auch schon das Tor."
"Hinfallen, aufstehen und Krone richten"
Allerdings erspielte sich ihre Mannschaft auch in der Folge Chancen - Dallmann (56./61.), Lina Magull (64./80.) und Anja Mittag (75.) hatten den zweiten Treffer auf dem Fuß. Ein Fitnessproblem hatte Deutschland keines. "Nach vorne hatten alle genug Kraft", betonte Jones. "Nur nach hinten waren sie nicht so spritzig." Und so traf die allein gelassene Theresa Nielsen Deutschland in der 83. Minute ins Mark.
Wie ihre Mitspielerinnen war auch Doorsoun untröstlich. "Das ist bisher die schwerste Niederlage in meiner Karriere", sagte die 25-Jährige. "Ich fühle eine ganz tiefe Enttäuschung." Ein letztes Mal kehrten die DFB-Frauen am Sonntag (30.07.2017) zurück ins Teamhotel. Am Montag reisen sie zurück nach Hause. "Die Erfahrung ist natürlich bitter, aber umso wichtiger", meinte Jones. "Genau aus solchen Erlebnissen wächst man." Doorsoun schloss mit einem kleinen Lächeln: "Hinfallen, aufstehen und Krone richten."
Stand: 30.07.17 18:29 Uhr